Partnerschaft versus Elternschaft?
Ehe und Elternschaft
Kinder sind ein Geschenk und verbinden zwei Menschen, die schon durch ihre Beziehung zueinander verbunden waren, auf eine neue Weise miteinander. Ein eigenes Kind zu haben, ist schön und beglückend für seine Eltern. Dabei wird aber meist übersehen, dass die Partnerschaft nicht in der gemeinsamen Elternschaft aufgehen darf. Manchmal kann man sogar sagen, die Beziehung zwischen den Partnern geht im Elternsein sozusagen verloren. Sie muss aber ihren eigenen Stellenwert behalten. Durch das Kind verändert sich einfach die Beziehung. Wenn aber Paare glauben so weiterleben zu können wie bisher und die Veränderung nicht ernst nehmen, so kann das, oft auch erst viel später, zu Schwierigkeiten zwischen den Partnern führen.
In seinem Buch “Wie Partnerschaft gelingt – Spielregel der Liebe” beschreibt Hans Jellouschek im Kapitel “Ordnungen der Liebe” wie wichtig es ist, die Partnerbeziehung von der jeweiligen Vater - bzw. Mutter – Kind – Beziehung zu unterscheiden und abzugrenzen. Diesen Text möchte ich hier anfügen.
“Die Elternschaft versus Partnerschaft muss gelernt werden !
Das Wort “Ordnung” in einem Atemzug mit “Liebe” zu nennen, ist ungewohnt. Liebe verbinden wir in der Regel mit Gefühl, und Gefühle kümmern sich nicht um Ordnung. Vor allem die erotische Leidenschaft setzt sich häufig über bestehende Ordnungen hinweg, kümmert sich nicht um Ehe, Familie, Gesetz und Moral. Allerdings: Soll eine Liebe von Dauer sein, braucht sie auch die Ordnung. Sonst besteht die Gefahr, daß sie zerstörerisch wird oder jedenfalls nach raschem Aufflackern schnell wieder erlischt. Freilich sind solche “Ordnungen der Liebe” (Bert Hellinger) keine bloß äußeren Gesetze, die jemand – Gott, der Staat oder die Gesellschaft – willkürlich “aufgestellt” hat. Die Erfahrung lehrt, daß es sich um innere Gesetzmäßigkeiten der Liebe selbst handelt, die beachtet sein wollen, damit Beziehungen gelingen. Von solchen Gesetzmäßigkeiten der Liebe möchte ich in diesem Kapitel sprechen. Dabei fassen wir nicht nur das (Ehe)-Paar ins Auge, sondern wir beziehen die Kinder in unsere Überlegung mit ein, haben also die Familie als ganze im Blick. Denn die Kinder haben einen starken Einfluß darauf, wie Partner miteinander zurechtkommen, genauso wie umgekehrt die Qualität der Beziehung der Partner die Kinder in ihrem Wohl und Wehe mitbestimmt.
Vor kurzem habe ich einen Therapie-Kongress besucht. Da wurde von einer FamilienForscherin das Video eines Familien-Experiments gezeigt. Man konnte beobachten, wie eine Dreiergruppe, (“Triade”) bestehend aus Mutter, Vater und Kleinkind, miteinander umging. Die Mutter spielte gerade intensiv mit dem Kind. Dann wurde es ihr offensichtlich zu anstrengend oder langweilig. Sie wollte an den Vater abgeben, aber der hielt sich raus. Er merkte gar nicht, daß es jetzt an ihm gewesen wäre, “zu übernehmen”. Nach weiteren vergeblichen Versuchen lehnte sich die Mutter mit einem tiefen Seufzer zurück. Und was machte das Baby? Zuerst war es irritiert, dann wollte es selbst mit dem Vater “anbändeln” und diesen “ranholen”. Als der aber weiterhin nicht reagierte, schaute es zur Mutter hin und seufzte ebenfalls tief, so als wollte es sagen: “Gell, du bist jetzt müde, du Arme!” Das kleine Kind hatte in dieser Familie also bereits gelernt, sich um die Mutter zu kümmern, wenn es ihr nicht gut ging und der Vater nicht aktiv wurde. Eigentlich wäre das ja seine Aufgabe gewesen. Aber weil er nicht reagierte, sprang das Kind für ihn ein. Was hier “lief”, machte die Forscherin mit einem provokanten Dia deutlich: Auf einer Foto-Kollage war ein Riesen-Baby zu sehen, das eine baby-kleine Mutter auf seinem Arm trug! In diesem Experiment wurden gleich mehrere innere Gesetzmäßigkeiten oder Ordnungen der Liebe deutlich:
Kinder brauchen beide Eltern
Kinder brauchen Zugang zu beiden Eltern. In unserem Beispiel macht sich der Vater für das Kind nicht erreichbar. Er bleibt “draußen”. Wenn das nicht nur ab und zu einmal der Fall ist, sondern immer wieder, hat das mehrere schwierige Folgen: erstens ist das Kind immer nur auf die Mutter angewiesen. Dadurch entsteht eine zu enge Bindung zu ihr. Zweitens wird der Vater auf diese Weise allmählich aus dem Familienverband emotional ausgeschlossen, oder er schließt sich, wie in unserm Beispiel, selbst aus. Er bringt vielleicht noch das Geld nach Hause, tritt vielleicht noch als Belohner und Bestrafer in Erscheinung, aber sonst ist er “out”. Kinder mit “zu viel Mutter” und zu “wenig Vater” zeigen typische Entwicklungsstörungen und kommen später einmal nicht gut zurecht. Darunter leidet aber drittens auch die Paarbeziehung: Die Mutter fühlt sich alleingelassen, und den Vater erlebt sie in bezug auf die Kinder als inkompetent. Der Vater wiederum fühlt sich abgewertet und unwichtig. Alles, was die Kinder angeht, läuft über seine Frau. Schließlich – viertens – fangen in solchen Fällen Kinder schon sehr früh mit dem an, was auf dem Video überdeutlich zu sehen war: Sie kümmern sich um die Bedürftigkeit der Mutter, werden also gleichsam zu “Müttern” oder Partnern der Mutter, was sie natürlich überfordert und sich darum auf ihre weitere Entwicklung ebenfalls negativ auswirkt.
Da hier besprochene Störung der “Ordnung” in Familien tritt besonders häufig auf, wenn sich die Männer total von ihrer Berufsarbeit auffressen lassen und die Frauen zu sehr auf die Familie als ihr einziges Kontaktfeld fixiert sind. Es braucht dann große Anstrengung, damit sich nicht das Muster “Frau mit den Kindern – Vater out” einspielt. Noch brisanter wird es, wenn Eheleute sich trennen und ein Elternteil, meist der Vater, außerhalb des Familienverbandes lebt, Dann ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, daß die Kinder regelmäßigen Kontakt zu ihm haben, sonst stellt sich dieses Muster fast unausweichlich ein. Bei getrennten Partnern ist der außerhalb lebende Elternteil für die Kinder eine ganz wichtige Bezugsperson, die durch niemanden anderen ersetzt werden kann. Kinder brauchen beide Eltern, auch dann, wenn diese sich als Paar getrennt haben.
Paar-Ebene und Eltern-Ebene
In dem Gesagten ist eine zweite “Gesetzmäßigkeit” bereits mit enthalten: Frau und Mann sind in der Familie nicht nur Einzelpersonen, sie sind ein Paar, und zwar ein Eltern-Paar und ein Liebes-Paar.
Eltern-Paar, das heißt: Sie wirken zusammen im Blick auf die Kinder, nicht isoliert voneinander, und vor allem nicht gegeneinander. In manchen Familien funktioniert es ja nur, wenn Vater allein mit den Kindern, oder Mutter allein mit den Kindern zu tun hat. Sobald beide Eltern zusammen sind, kracht es. Das wäre das Gegenteil von “Zusammenwirken”. Dieses Zusammenwirken setzt nicht unbedingt voraus, daß Frau und Mann in allen Einzelheiten dieselben Erziehungsprinzipien haben und die Kinder in allem gleich behandeln. Allerdings setzt es voraus, daß beide sich in ihrer Art, Eltern zu sein, achten und wertschätzen. Wie es damit steht, wird daran deutlich, ob der eine Partner den Umgang des anderen mit den Kindern wohlwollenden Blickes betrachtet oder aber sich schier nicht zurückhalten kann, korrigierend einzugreifen.
Liebespaar, das heißt: Es gibt in der Familie ein Eigenleben des Paares, Frau und Mann gehen nicht nur in der Elternrolle auf. Ein Eigenleben wird das Paar freilich nur dann auf Dauer führen, wenn Erotik und Sexualität zwischen ihnen lebendig sind. Sonst werden meist die Kinder interessanter als der Partner – oft die Tochter für den Mann und der Sohn für die Frau. Das tut diesen wieder gar nicht gut, weil sie dadurch “zu wichtig” werden und eine Bedeutung in der Familie erhalten, die nicht angemessen ist. Außerdem brauchen es auch die Eltern dringend: daß sie nicht nur als Versorger und Arbeitstiere in der Familie wichtig sind, sondern aneinander die Erfahrung machen: “Da ist einer, für den ich auch als Frau attraktiv bin” und: “Da ist eine, der ich auch als Mann gefalle!”
Daß das Paar in der beschriebenen Weise ein Eigenleben führen kann, das erfordert den Willen und die Fähigkeit, sich von den Kindern abzugrenzen. Frau und Mann müssen Räume und Zeiten schaffen und schützen, die das Paar für sich und nur für sich hat. Das geht bei ganz kleinen Kindern schwer. Hier müssen Paare oft Abstriche machen. Aber dabei kann man leicht den Zeitpunkt verpassen, von dem an es wieder möglich wäre, die Paarbeziehung stärker zu betonen. Modern eingestellte Eltern stehen manchmal in der Gefahr, sich von den Kindern tyrannisieren zu lassen, weil diese immer und überall “dazwischenkommen” dürfen, wo und wann sie nur wollen. Kindern schafft es existentielle Sicherheit, wenn zwischen den Eltern einerseits ein starkes emotionales Band besteht und wenn sie andererseits von ihnen klare Grenzen spüren. Dagegen werden sie unsicher und unruhig, wenn “immer alles möglich ist”.
Kinder sind keine Partner
Auch die dritte “Ordnung” der Liebe, die ich hier anführen möchte, ergibt sich aus dem Gesagten wie von selbst: Wenn ein Mädchen zur “Vater-Tochter” und/oder ein Junge zum “Mutter/Sohn” wird, dann leiden die Beziehungen in der Familie Schaden. Natürlich gibt es gefühlsmäßige Unterschiede in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, auch dann, wenn Eltern peinlich genau auf Gleichbehandlung achten. Das eine der Kinder mag man eben lieber als das andere, das ist natürlich. Gefühle orientieren sich nicht an “Gerechtigkeit”, sie sind einfach da, und sie sind nicht erzwingbar. Das schadet auch noch nichts. Problematisch wird es, wenn sich eine ganz spezielle Beziehung des Vaters zur Tochter, der Mutter zum Sohn herausbildet, nämlich eine solche, in der der andere Elternteil sozusagen “nichts mehr zu suchen hat”. Oder anders ausgedrückt: wenn sich zwischen Vater und Tochter oder Mutter und Sohn eine emotionale Qualität einstellt, die dichter, vertrauensvoller, “intimer” ist als die zwischen Mann und Frau. Auch wenn sie von sexuellen Handlungen weit entfernt sind, bekommen solche Beziehungen dann oft eine erotische Tönung, die den anderen Partner mit Recht verletzt und ihn zum eigenen Kind in Konkurrenz bringt. Natürlich bekommt auch das den Kindern nicht gut: Zwischen ihnen und dem jeweiligen Elternteil entsteht eine Bindung, die sich später störend in die Beziehungen zu möglichen eigenen Partnern einmischt.
Familien sind nicht nur die Summe der Einzelpersonen, aus denen sie bestehen. Obwohl sie sich im Fluß ständiger Veränderungen befinden, haben sie dennoch eine gewisse Struktur und deshalb eine bestimmte Ordnung. Andernfalls würden sie sich sehr schnell in ihre Bestandteile auflösen.”
Aus: Hans Jellouschek: “Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe” Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen; Verlag Herder Freiburg Basel Wien. Auch als Taschenbuch erschienen: HERDER spektrum, Band 5134
Luitgard Derschmidt, 9. Februar 2003