Lieben heißt miteinander alt werden können
I möchte‘ mit dir alt wer’n – kaum mehr bekannt ist dieses Chanson, das die Kabarettistin Lore Krainer vor ca. 40 Jahren in ihrem Programm hatte. Dabei wäre es heute vom Inhalt noch aktueller als damals. Im Text wird nämlich von den Ängsten und Wünschen zweier alter Menschen erzählt, die beschließen, die Kümmernisse des Alters in den kommenden Jahren gemeinsam zu ertragen.
Obwohl die Lebenserwartung rasant ansteigt, wird heute der Gedanke an das Alter mit seinen Problemen und zunehmenden Mühseligkeiten zumeist verdrängt. Die Werbe-und Wellness-Industrie offeriert uns ja schließlich jeden Tag eine neue Möglichkeit, durch die wir “forever young” bleiben können. Wer sich schon mit dem eigenen (unweigerlichen) Altwerden nicht auseinandersetzen will, der verschwendet auch keinen Gedanken an die Frage: Wie gehen wir damit in unserer Partnerschaft um? Was investiere ich in die Beziehung?
Miteinander alt werden – welches Brautpaar denkt daran, wenn es vor dem Traualtar steht? Man hofft glücklich zu werden, wünscht sich (vielleicht) Kinder und will (ganz sicherlich) einen gewissen Wohlstand erreichen. Doch die nun beginnende gemeinsame Zukunft führt, wie der Lebensweg jedes Menschen, unweigerlich in Richtung Alter. Und gehört nicht das gemeinsame Altern, das gemeinsame Gehen durch die Lebenszeit bis in das Alter zur Erfüllung eines Lebens zu zweit? Die Franzosen umschreiben dies mit einem wunderbaren Satz: Lieben heißt, miteinander alt werden können.
“Das Alter ist die Erntezeit für die Ehe”, schrieb einmal der bekannte, bereits verstorbene Familienseelsorger Bernhard Liss. Selbst gärtnerisch Untalentierte wissen: Wer ernten will, muß vorher säen und sich bemühen, dass die Saat wächst und Frucht bringt. Für die Partnerschaft zwischen Mann und Frau gilt dieser Grundsatz ebenso.
Das Bild von Ehe und Familie hat sich in den letzten hundert Jahren stark verändert. Geheiratet wird selten mehr aus wirtschaftlichen Überlegungen, auch nicht wegen gemeinsamer Kinder, sondern nur dann, wenn eine emotionale Bindung zwischen Mann und Frau vorhanden ist. Ob diese wirklich für ein ganzes Leben tragfähig ist, zeigt sich nicht nur in Krisenfällen, sondern oft erst später. Nämlich dann, wenn die Kinder groß sind und das “Nest” leer wird. Wenn die Partner wieder mit einer Zweisamkeit wie zu Beginn ihrer Ehe, aber nun unter anderen Vorzeichen, konfrontiert sind. Man ist eben nicht mehr das frisch verliebte Paar von damals, das Leben hat beide Partner geprägt.
Für manche Eheleute bedeutet es ein Schockerlebnis, nun zu erkennen, dass alles nur eine Fassade war und ihrer Beziehung eigentlich das Fundament fehlt, auf dem sich eine tiefe, tragfähige Zuneigung hätte entwickeln können.
Um eine Beziehung durch die Jahre und den Alltag hinweg bis in das Alter hinein lebendig zu erhalten, erfordert es den Freiraum des Partners zu respektieren, ihm diesen gewähren und dabei auch seine eigenen Interessen nicht vernachlässigen. Vielleicht zählt dies zu den wichtigsten, aber sicher schwierigsten Spielregeln in einem Leben zu zweit. Den anderen total für sich vereinnahmen, kann der Tod einer Beziehung sein.
Sexualität spielt zu Beginn einer Partnerschaft sicher eine größere Rolle als in späteren Jahren. Aber sexuelle Bedürfnisse und Wünsche hat auch der ältere und alte Mensch. Sexualität umfaßt ja nicht nur die körperliche Vereinigung, sondern Liebe, Zärtlichkeit, Wärme und körperliche Nähe. Und danach sehnt man sich auch im Alter. Das Nachlassen der Geschlechtlichkeit ist sicher für jeden Menschen mit einer gewissen Trauer verbunden. Sich jetzt – wozu oft Männer neigen – in einen gewissen Stress, oder eine Torschlusspanik zu flüchten, wäre nicht nur falsch, sondern könnte das Ende einer Partnerschaft selbst nach Jahrzehnten noch bedeuten. Auch diese geänderte Situation kann für eine Ehe noch die Chance bieten, eine ganz neue Dimension in der Beziehung zueinander zu entdecken, die nun verstärkt von Zärtlichkeit und Verständnis getragen ist.
Mit dir möchte ich alt werden – doch irgendwann kommt unweigerlich der Abschied. Keiner weiß wann er kommt und wer als erster den Weg gehen muß. Das Ende muß nicht plötzlich kommen, sondern es kann ein Abschiednehmen werden, das sich über Jahre hinweg zieht. Krankheit und geistige Vergreisung kann den Partner so verändern, dass er in nicht mehr dem Menschen gleicht, der er einmal war. Was dann bleibt, ist nur die Erinnerung an einstige Zeiten und das Ringen um die Kraft, dies durchzustehen.
Miteinander alt werden – ist ein Geschenk. Für gläubige Menschen eine Gnade Gottes. Miteinander diesen Weg durch alle Höhen und Tiefen bis zum erfüllten Schlußpunkt des Lebens zu gehen, liegt am Wollen und am Bemühen beider Partner in ihre Beziehung zu investieren, um sie lebendig zu erhalten. Der erste Schritt dazu erfolgt bereits am Hochzeitstag.
Ingeborg Schödl
Literatur:
- Ingeborg Schödl “Alt, aber nicht out – Gedanken über das Älterwerden”, Verlag St.Gabriel, 1996.
- Bernhard Liss "Die Früchte ernten - Wege der Ehe ins Alter", Echter (Würzburg), 1994